Notlage trifft auf Notlage: Wenn hochbetagte Menschen zu Hause betreut werden wollen oder müssen, fordert dies Familien und Angehörige. Rund 30.000 Menschen in Österreich entscheiden sich für die 24-Stunden-Personenbetreuung, die zumeist über Agenturen vermittelt werden. Dafür verlassen Betreuer*innen ihr oft fernes Zuhause und teilen ihr (halbes) Leben mit der betreuten Person. Rund um die Uhr.
Damit einher gehen Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen, aber auch Enttäuschungen, Sprachbarrieren und Missverständnisse. Das führt zu Nähe und Verbundenheit, manchmal zu Reibung und Konflikt. Nicht selten zu seelischen Belastungen, neuen Nöten und Übergriffen.
In „Geteiltes Leben“ sind Arbeits- und Lebenserfahrungen von Betreuer*innen auf verschiedenen Ebenen erlebbar. Videoeinspielungen und Theaterspiel werden miteinander verwoben und beleuchten wenig bekannte Aspekte dieser Sorgearbeit. Das Besondere dabei:
Das interaktive Aufführungsformat von „Geteiltes Leben“ dient dem Dialog und der Suche nach neuen Handlungsmöglichkeiten: Gemeinsam mit Personenbetreuer*innen, der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, Interessenvertretungen und Fachleuten wird nach konkreten Lösungsansätzen gesucht, wie prekären Arbeits- und Lebensbedingungen in der 24-Stunden-Personenbetreuung begegnet werden kann. In der Forumphase kann sich das Publikum aktiv einbringen und Handlungsstrategien direkt vor Ort spielerisch ausprobieren, um diese Fragen zu verhandeln:
Was können Angehörige, Betreuer*innen, Patient*innen tun, um Missverständnissen und Konflikten, aber auch Diskriminierung und Übergriffen zu begegnen?
Was braucht es für eine gute Kooperation?
Wie kann Solidarität entstehen für bessere Arbeitsbedingungen?
Welche Alternativen kann es geben?
Zum Hintergrund des Projekts und der „24-Stunden-Personenbetreung“ in Österreich
Geringfügige Anstellung, Teilzeitarbeit, Leiharbeit, Scheinselbständigkeit: Atypische Beschäftigungsverhältnisse werden zunehmend zur Normalität und sind nicht selten von prekären Arbeits- und Lebensbedingungen begleitet.“ Seit 2020 widmet sich InterACT der Thematik „Working Poor – Prekäre Arbeit“. 2025 geht es um prekäre Arbeitsbedingungen in der „24-Stunden-Personenbetreuung“ (live-in care-work).
Rund 55.000 Menschen, zumeist Frauen aus osteuropäischen Ländern arbeiten in Österreich ‚selbständig‘ als Personenbetreuer*innen. Ohne sie das würde das Pflegsystem für hochbetagte, betreuungsbedürftige Menschen zusammenbrechen.
Dennoch werden Personenbetreuer*innen „in Österreich wie Arbeitskräfte zweiter Klasse behandelt. Viele werden in Arbeitssituationen gedrängt, in denen sie einem hohen Risiko von Ausbeutung, Überlastung und Gewalt ausgesetzt sind. Dafür erhalten sie extrem niedrige Honorare und kaum Unterstützung von österreichischen Behörden“ (Flavia Matei, IG 24). So geben bei einer Befragung 45% der Personenbetreuer*innen in Österreich an, Gewalt am Arbeitsplatz erlebt zu haben. Neben geringem Verdienst und teilweise schlechtem Versicherungsschutz ist die Arbeitsbelastung aufgrund der dauerhaften Anwesenheit im jeweiligen Haushalt vor allem emotional sehr hoch. Es gibt keine gesetzlich geregelten Arbeits- und Ruhezeiten. Aktuelle Studien verweisen zudem auf Scheinselbständigkeit, zumal die meisten Betreuer*innen die vertraglichen Arbeitsbedingungen nicht selbst festlegen, diese werden in der Regel von der Vermittlungsagentur bestimmt, von denen es mittlerweile rund 900 in Österreich gibt. Zudem stehen Arbeitsverträge im Vorfeld nur einem geringen Teil der Betreuer*innen zur Verfügung und sie haben trotz der „Selbständigkeit“ keine Entscheidungsfreiheit über ihre Bezahlung oder ihre Zeiteinteilung.
Ein großer Teil der Betreuer*innen ist armutsgefährdet, nur 6 % können von ihrem Einkommen gut leben, der tatsächliche Stundensatz bewegt sich zwischen 3 und 4 €. Das derzeitige Modell der „24-Stunden-Betreuung“ ist nicht auf ein Auskommen in Österreich, sondern auf die Pendelmigration aus Ländern mit niedrigen Lebenshaltungskosten ausgelegt. Auch aus diesem Grund wünschen sich Betreuer*innen eine bessere soziale Absicherung, Arbeitslosengeld und Krankengeld sowie höhere Pensionen. Denn auch nach vielen Berufsjahren beträgt diese oft nicht einmal 200 €.
PROJEKTTEAM
Künstlerische Gesamtleitung, Regie, Moderation/Joker: Michael Wrentschur
Darsteller*innen: Maria Czaili, Daniela Hoppaus, Wera Köhler, Maria Reito, Martin Vieregg, Waltraut Wagner
Video-Darsteller*innen: Emilia Lisa Minea, Alexandra Perti, Daniela Constanta Vele
Diskutant*innen: Anna Durisova (CuraFAIR), Simona Durisova (IG 24), Ulla Kriebernegg (CIRAC Uni Graz), Irene Strauss (Inspire) Edith Zitz (Inspire)
Regieassistenz: Sophia Schessl
Öffentlichkeitsarbeit, Kooperationen: Sophia Schessl, Michael Wrentschur
Recherchen, Studien: Michael Wrentschur
Office, Dokumentation: Sophia Schessl
Bühnenbild: Wolfgang Rappel, Markus Wilfling
Kostüme und Ausstattung: Anais Rablhofer
Licht-, Tontechnik, Live-Stream: Tom Bergner und Team
Videoaufnahmen und -bearbeitung: Olena Fedyuk, Zsófia Paczolay, Viktor Nemeth, Wolfgang Rappel
Grafik, Fotografie, Website: Wolfgang Rappel
In enger Kooperation mit: IG 24 – Initiative für Gerechtigkeit in der Personenbetreuung in Österreich (https://ig24.at/de/)
Weitere Kooperationspartner*innen: Arbeitsbereich Sozialpädagogik am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Universität Graz, Armutsnetzwerk Steiermark, CIRAC-Zentrum für Interdisziplinäre Alterns- und Care-Forschung an der Universität Graz, Inspire- Bildung und Beteiligung, SORGENETZ.
Mit Unterstützung von: Bundesministeriums für Wohnen, Kunst, Kultur, Medien und Sport (BMWKMS), IG Netz; Land Steiermark Kultur; Land Steiermark Soziales; Land Steiermark Bildung und Gesellschaft; Stadt Graz Kultur; Stadt Graz Soziales; ProEuropeanValues AT/ EU; Das andere Theater; Theater im Lend, Hunger auf Kunst und Kultur, LAUT Weitere Infos unter: https://www.interact-online.org/aktuell/geteiltes-leben